Edmund White – City Boy

„Der Rest des Landes fand New York entweder beängstigend oder lächerlich, doch für uns war es der einzige freie Hafen auf dem gesamten Kontinent. Nur in New York konnte man mit einem Angehörigen des gleichen Geschlechts Hand in Hand gehen.“

1962 kommt der damals 22-jährige Edmund White nach New York. Es ist die Zeit, in der eine Wohnung im Greenwich Village noch 100 Dollar kostet, in der man erst mit Freund*innen über die Rolle der Kunst in der Sowjetunion diskutiert, um dann auf dem Nachhauseweg im Zickzack zu laufen, weil einige Blocks sicher sind, andere aber hochgradig gefährlich. White stürzt sich in das schwule Leben der Stadt und versucht gleichzeitig, ein bekannter Romancier zu werden.

In „City Boy“, im Original 2009 erschienen, lässt er die sechziger und siebziger Jahre Revue passieren, erinnert sich an die Zeit vor und nach den Stonewall Riots 1969, die nur das i-Tüpfelchen der Revolte waren, an die vielen schlechten Jobs, und an den langsamen Erfolg als Schriftsteller, bis er irgendwann mit illustren Persönlichkeiten wie Susan Sontag befreundet ist.

Dieses Memoir mit den vielen Namen, Straßen, Kneipen, Clubs, den erwähnten Büchern und Filmen, liest sich wie die Straßenkarte eines queeren Manhattans, das in dieser Form schon lange nicht mehr existiert. Es ist unglaublich interessant zu verfolgen, wie White und seine fellow schwulen Autoren die Literaturszene und die Gesellschaft aufmischten und vorantrieben (bis Aids dieser Bewegung den Garaus machte).


Allerdings: Man darf nicht vergessen, dass hier ein weißer Mann Jahrgang 1940 schreibt – an einigen Stellen lesen sich die Beschreibungen von Frauen sexistisch, die von Puerto Ricanern exotisierend. Der größte Kritikpunkt, den ich persönlich an „City Boy“ habe, ist der, dass Edmund White mit unglaublich vielen Namen um sich wirft. Wenn man in der Künstler*innen- und Intellektuellenszene New Yorks (und der USA und Frankreichs) dieser Zeit nicht super sattelfest ist, wird es mitunter schwierig, zu folgen. Außerdem gibt es immer wieder Exkurse, Mini-Biografien quasi, zu den Leben der Wegbegleiter*innen Whites, bei denen noch mehr Namen erwähnt werden. Uff.

Ein bisschen Durchhaltevermögen ist also gefragt. Trotzdem ist „City Boy“ ein sehr lesenswertes Buch, wie die schwule, männliche Version von Patti Smiths „Just Kids“, das zur gleichen Zeit in derselben Stadt und einer ähnlichen Szene spielt, und dennoch kaum Überschneidungen hat (immerhin kannte White Robert Mapplethorpe). Empfehlung für alle, die sich für LGBTQ-Themen, New York, die Intellektuellenszene der sechziger und siebziger Jahre und die politische und gesellschaftliche Stimmung damals in den USA interessieren.

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